Diese letzten Sommertage genieße ich gerne nach Feierabend mit einem guten Buch im Belvedere oder fotografiere die strohdummen Enten vorm architektonischen Schnörkelexzess, von dessen Terrasse dereinst 1955 die geschichtsträchtigen Worte „Österreich ist frei!“ in eine unendlich gerührte Menschenmenge gerufen wurde. Und die Menge johlte und strahlte, genauso wie 18 Jahre zuvor, als ihr mit anderen Worten „Österreich ist unfrei“ verkündet wurde. Österreich ist also frei(wild für Populisten jeglichen Coleurs), die Massen lassen sich nunmal leicht begeistern. Da reicht ein joviales „Daham statt Islam“ und schon geifert jeder 10. Bürger dieses Landes ‚Das ist unser Mann!‘ und jede 10. Bürgerin wünscht sich den feschen H.C. zum Schwiegersohn.
Klar, es gibt auch noch die, die beim großen Jubelsturm erstmal besonnen daheim bleiben und sich (auch sehr österreichisch) ‚Na, schaumamal‚ denken, wie die Maus, bevor sie aus dem Mäuseloch guckt. Und eine Handvoll Rebellen hat dieses Land ja auch noch zu bieten – derzeit sitzen sie glaub ich in der Punkerhittn am Meiselmarkt und kümmern sich unendlich fürsorglich um das Desensibilisierungsprogramm der Anrainer. Wählen geht kaum einer von ihnen, das wäre zu konventionell.
Aber wieso triffte ich eigentlich ab, ich wollte doch bloß den lauen Sommerabend genießen? So wie heute über den Artikeln Max Winters aus dem Wien der vorletzten Jahrhundertwende. Max Winter gilt als der Begründer der Sozialreportage, seinem Beispiel folgten Egon Erwin Kisch, der rasende Reporter, genauso wie Günter Wallraff. Nach dem Motto „Schreibe nie, was Du nicht erlebt hast“ verbrachte er Nächte im Nachtasyl, Tage im Knast und stieg mit den Kanalstrottern in die Unterwelt hinab, um nach verlorenen Kreuzern und Hellern zu suchen. Später wurde er zu einem der bedeutendsten Sozialisten der ersten Republik, wobei ihm politische Thesen eher kalt ließen. Er war ein Mann, der Lösungen zur Linderung der Not lieber rasch in die Tat umsetzte, statt lange darüber zu reden. Wie würde Max Winter wohl die heutige SPÖ sehen? Ich fürchte, es käme ihm das kalte Grausen und wie dereinst in der Kanalisation müsste er sich durch viel Schlamm und Dreck wühlen um statt eines blanken Hellers nach den letzten Resten Glaubwürdigkeit und sozialer Werte zu suchen. Na, vielleicht gehts uns ja wirklich zu gut?
Derlei Fragen hing ich heute über meiner Lektüre im Belvedere nach, als mich eine schrille Stimme jäh aus den Gedanken riss „Hearns, Se, woin se do bis sechse in da Fria bleim?“ Äh, wie bitte? „Na, woilln se do übanochtn? Se sitzen do sicha scho a Stund und um hoiba Ochte wird zuagschperrt!“ Ich bin zwiegespalten. Eigentlich würde ich sie gerne nach ihrem Namen fragen, um mich bei ihrem Arbeitgeber zu erkundigen, ob derlei Ton ihrer Vorstellung von Service entspricht. Doch dann freu ich mich eigentümlicherweise auch wieder über die rüde Art, die in einer aalglatten Zahnpastalächelwelt reinste Imunität gegen die ‚guten Manieren‘ beweist und damit aber auch ein Quantum Originalität bewahrt. Ich schaue runter zu Max Winter, klappe das Buch zu und schlender an großen und kleinen Schnabeltieren vorbei zum Ausgang.
„Na, lossmas hoit und schaumamal…„